Aktive Vaterschaft im Spannungsfeld zwischen Paternalismus und Feminismus

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Konzept von aktiver Vaterschaft besagt nicht, dass du lange Elternzeit nehmen musst oder Hausmann werden sollst. Vielmehr handelt es sich um eine innere und äußere Haltung für gleichberechtigte und verantwortungsvolle Elternschaft. Als Vater bist du ein wichtiger Teil des Eltern-Teams. Einen Beitrag zum Konzept »Aktive Vaterschaft«, auf das ich mich im Folgenden beziehe, kannst du hier nachlesen. Vier Faktoren beeinflussen demnach das Gelingen von aktiver Vaterschaft; Motivation ist die wichtigste. Damit Aktive Vaterschaft bei Männern überhaupt erst Akzeptanz und Anerkennung findet, muss zuvor jedoch eine besondere Voraussetzung erfüllt sein.

Immer wieder schreiben mir Männer und kritisieren meine Sichtweise auf aktive Vaterschaft. Sie fühlen sich von mir in der Ausgestaltung ihres Lebensentwurfes persönlich angegriffen, bevormundet und verbitten sich vorgeschrieben zu bekommen, wie sie ihre Vaterrolle auszuleben haben. Sie werfen mir vor, ich unterstelle ihnen mangelndes Interesse und fehlende Beteiligung an der Familienarbeit. Dabei übernehmen sie bereits Care-Arbeit, kümmern sich um die Kinder und sorgen für das Familieneinkommen. Gleichzeitig fühlen sie sich in ihrer Männlichkeit von mir abgewertet. 

Sie positionieren sich selber zwischen zwei Extreme. Traditionelle weiße cis Männer auf der einen und radikale Feminist*innen auf der anderen Seite. Gleichberechtigung muss ihrer Meinung nach nicht verhandelt werden, sondern wird einfach gemacht. Es ist eine freie Entscheidung, dass die Mutter zu Hause bleibt und der Vater nur zwei Monate Elternzeit nimmt. Diese Männer fühlen sich von meinen Aussagen provoziert und schreiben mir, ich solle dem Feminismus nicht auf den Leim gehen.

Sie verallgemeinern ihre persönlichen Erfahrungen und nehmen an, dass sie allgemein gültig anwendbar sind. Außerdem werden (männliche) Vorbilder aus der eigenen Kindheit ihrer Meinung nach überbewertet. Frauen „machen einfach“ nur, sie wissen schließlich wie das mit den Kindern geht. Männern wissen das nicht und sollen „sich einfach mal zusammen reißen“. Kann doch nicht so schwer sein, hat bei ihnen schließlich auch geklappt. Ganz ohne Feminismus oder Gendersternchen.

Sind wir wirklich so frei in der Entscheidung?

Natürlich gibt es Männer, die eine glückliche Kindheit, einen involvierten und engagierten Vater hatten, der auch viel gearbeitet hat, aber immer für die Kinder da war. Abends hat er ihnen Geschichten vorgelesen, war einfühlsam und ja, er hat auch die Windeln gewechselt. Bestimmt ist er nun ein liebevoller Opa und immer noch mit seiner Frau glücklich verheiratet. Nur leider hatte nicht jeder Mann diese Kindheit. Ich behaupte sogar, dass der Großteil der Männer einen abwesenden Vater hatte, der oft nur am Wochenende für die Familie da war. Gleichzeitig war die Erwartungshaltung an die Kinder enorm hoch. Keine schlechten Noten, nicht negativ auffallen und funktionieren.

Im Haushalt waren die Rollen klar verteilt. Die Frau war Hausfrau und Mutter. Der Mann hat das Geld als Alleinverdiener erwirtschaftet. Vielleicht ging die Frau einer Teilzeittätigkeit nach. Der Mann war im Haushalt nicht zu gebrauchen und funktionierte nur auf Anweisungen der Frau: „Kauf dies, reparier das, bring den Müll raus und wenn du schon mal zum Bier holen im Keller bist, stell die Waschmaschine an. 60 Grad. Nein, T-Shirts nur bei 40 Grad. Und denk an den Entkalker. Ach weißte was, ich mach das nachher selber.“ Und seien wir ehrlich. So richtig viel hat sich nicht verändert.

Wir sind nach traditionellen Rollenbildern und Klischees sozialisiert geworden. Die Erfahrungen aus der Kindheit prägen unser heutiges Verständnis der Welt. Frauen sind das schwache Geschlecht, die Hilfe brauchen und sich am besten um Haushalt und Kinder kümmern können. Sie sind schließlich Multitasking fähig und viel emphatischer, als Männer. Männer sind hingegen das starke Geschlecht, Karrieretypen, Verführer und Beschützer. Dieses Bild lernen Kinder von Geburt an und hinterfragen es nicht, weil es jeden Tag von ihrer Umgebung aufrecht erhalten wird. Der Mann geht arbeiten und die Frau schmeißt den Haushalt.

Check Your Privileges

Dieses ungleiche Machtverhältnis wird auch als das Patriarchat bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein hierarchisches Ordnungssystem, bei dem alle Macht vom Mann ausgeht. Doch nicht nur im männlichen Denken und Handeln zeigen sich diese paternalistischen Verhaltensweisen. Auch in gesellschaftlichen und sozialen Systemen finden sich paternalistische Machtverhältnisse, die Mann und Frau in ihren Rollen beschreiben und voneinander abgrenzen. Weil wir nie gelernt haben unsere Privilegien zu hinterfragen oder sie bewusst ignorieren, unterstützen wir mit unserem Verhalten diese Verhältnisse.

Nahezu in allen beruflichen Feldern begegnen uns unsichtbare gläserne Decken, die unüberwindbar zu sein scheinen. Für Frauen versteht sich, nicht für Männer! Die Geschlechterverhältnisse sind immer noch unausgeglichen und scheinen sich ohne Eingreifen der Politik nicht zu verändern. Der Markt regelt eben doch nicht alles. Während also in den SAGE-Berufe (Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung & Bildung) mehr Frauen als Männer beschäftigt sind, sind die Geschlechterverhältnisse in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaft und Technik) genau anders herum. Was beide Bereiche gemeinsam haben ist das Geschlecht der Führungskräfte und die ungleiche Bezahlung.

Behalten wir also diesen kurzen Abriss im Hintergrund und schauen auf Aktive Vaterschaft.

„Die Realisierung eines neuen, auf eine stärkere Involvierung des Vaters in die Familie gerichteten Konzeptes von Vaterschaft ist nur dann möglich, wenn tradierte Geschlechtsnormen in Frage gestellt werden.“

Michael Meuser, Die Entdeckung der neuen Väter

Vaterschaft ist mehr als Alleinverdiener zu sein

Das Konzept von aktiver Vaterschaft befasst sich sowohl mit dem individuellen Verhalten als auch mit den strukturellen Verhältnissen, die begünstigend auf das eigene Rollenverständnis wirken. Die vier Bereiche sind Motivation, Selbstkompetenz, Soziales Umfeld sowie Kontextfaktoren. Wenn du mehr darüber wissen möchtest, klick dich zu diesem Beitrag. Die Erfahrung mit den primären Bezugspersonen der eigenen Kindheit begünstigen oder hemmen die Umsetzbarkeit von aktiver Vaterschaft. Wer also einen involvierten, liebevollen und anwesenden Vater in seiner Kindheit hatte, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Haltung als Vater übernehmen. Männer mit abwesenden Väter müssen mehr Selbstkompetenzen erlernen, um aktive Väter zu werden. Und über alle dem schwebt das Patriarchat, das uns in gesellschaftliche Rollen drückt.

Für das Gelingen von aktiver Vaterschaft braucht es neben den vier Punkten daher noch eine besondere Voraussetzung, die dem vorangestellt werden muss. Nämlich das Erkennen, Verstehen und die Anerkennung der eigenen Privilegien in den vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen. Statt permanent Antworten zu liefern müssen Männer anfangen Fragen zu stellen. Über die eigene Position in der Gesellschaft, über Vorteile, die sie genießen und welche Attribute ihnen anheften. Stichwort: Macht.

Indem Männer mir empört schreiben, ich würde sie bevormunden und ihnen vorschreiben, wie sie Aktive Vaterschaft zu gestalten haben, ziehen sie sich in die Opferrolle zurück und erkennen ihre Privilegien und ihre Macht nicht an. Indem sie die individuellen und strukturellen patriarchalen Herrschaftsverhältnisse leugnen, machen sie die eigentlichen Probleme unsichtbar. Anstatt sich mit den eigenen Privilegien auseinander zu setzen, festigen sie dadurch den männlichen Machtanspruch: Sie nehmen die zwei „Vatermonate“ Elternzeit, ihre Frau bleibt zu Hause bei dem Kind, der Mann geht in Vollzeit arbeiten und versteckt sich hinter der Behauptung, dass „muss man sich ja auch leisten können.“

Das Private wird politisch

Dass es auch anders gehen kann zeigen Studien über Elternzeit. Väter, die mehr als zwei Monate Elternzeit genommen haben, sind eher bereit mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen und sich mehr an der Familienarbeit zu beteiligen. Noch wahrscheinlicher wird es, wenn die Partnerin in dieser Zeit wieder arbeiten geht und nicht zu Hause ist. Dafür muss allerdings die Bereitschaft vorhanden sein. Der Erfolg deiner Vaterschaft hängt natürlich nicht ausschließlich an deiner Elternzeit. Sie hat jedoch einen großen Einfluss auf die Ausgestaltung deiner Vaterschaft. Und nicht jeder Vater in Elternzeit ist ein aktiver Vater.

Das Konzept von aktiver Vaterschaft soll zum kritischen Nachdenken anregen und Möglichkeiten aufzeigen, in die es sich zu investieren lohnt. Dafür braucht es ein Verständnis der eigenen Privilegien, damit die Motivation nicht in Resignation umschlägt, eigene Fehler die Selbstkompetenz erhöhen, ein soziales Umfeld Sicherheit vermittelt und der Arbeitgeber Vereinbarkeit möglich macht. Denn erst wer den Paternalismus überwindet, kann selbstbestimmt und verantwortungsvoll seine Aktive Vaterschaft gestalten.

Familie geht nur gemeinsam und wer neue Väter fordert muss auch neue Mütter fordern. Du hast eine Wahl und musst nicht das patriarchale Spiel mitspielen. Du kannst dir selber erlauben, es anders zu machen. Du verzichtest bewusst auf Privilegien ohne sie zu verlieren.

Vielleicht polarisiere ich tatsächlich, weil für mich das Private politisch geworden ist. Für mich ist Vaterschaft ein Recht und kein Privileg, das verhandelbar ist. Entsprechend der HeForShe Kampagne der UN Women setze ich mich für eine Welt ohne Stereotype und Rollenzwänge ein. Ich trete zurück, bin Hausmann, pausiere meine berufliche Karriere und gebe meiner Frau den Vortritt. Dass wir es so machen heißt nicht, dass es nur so geht.

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Responses

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  1. Ein super Artikel, Heiner! Du bringst es auf den Punkt und ich kann Dich nur unterstützen.
    Ich denke, wir Väter in der jetzigen Generation mit kleinen Kindern bzw. werdende Väter haben es in der Hand, einen wichtigen Teil zur positiven Veränderung, hin zu aktiver Vaterschaft beizutragen.
    LG, Richard von der papammunity.de

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