Gastbeitrag von Kai Lüftner: Väterrollen.

Meute.

Wir müssen reden.
Dringend.
Von Elternteil zu Elternteil.
Ich, als Mann und Vater – zu euch. Im besten Falle ebenfalls Mütter oder Väter.

Ich beginne den Text mit einer Frage:
Was haben Serien oder Filme wie Die Simpsons, Family Guy, Malcolm mittendrin, Pippi Langstrumpf, Wicki und die starken Männer, Grisu der kleine Drache, Michel aus Lönneberga aber auch Peppa Pig, Donald Duck, und die Feuersteins gemeinsam?

Auf den ersten Blick nichts – oder alles. Serien halt. Filme.
Zielgruppe Kind oder Jugendliche.
Manche animiert, andere mit echten Schauspielern, alte Produktionen, neuere Formate mit komplett unterschiedlichen und doch immer auch wiederkehrenden Themen, Charakteren und Settings.
Und im Detail dann doch so unterschiedlich wie nur denkbar.

Aber eines haben all diese genannten Formate gemeinsam:
Und zwar den absoluten Alptraum eines Vaters, bzw. der männlichen Hauptfigur.
Sämtliche dieser Serien haben erwachsen-männliche Protagonisten, die den Straftatbestand der Gefährdung des Kindeswohls auf unterschiedliche Arten und Weisen erfüllen.
Männerbilder aus der Hölle. Vaterfiguren, ins groteske verzerrt und selbst auf dem interpretierbaren Parkett des Humors als Normalität dargereicht. Als gegeben. Als kontinuierliche Beigabe in Kinder- oder Jugendlichen-Unterhaltung.

Aber von vorn.

Während der Vater bei Peppa Pig ein schwerst adipöses Vollhonk-Hausschwein an der Schwelle zur Unzurechnungsfähigkeit ist, müssen wir über Holmer Simpson oder Peter Griffin von Family Guy als männliche Bezugsperson und in ihrer Rolle als Serien-Väter gar nicht erst reden. Nicht nur das beide ebenfalls in empörend übertriebenem Maße fettleibig sind, ihr unterirdischer, grenzdebiler Intellekt wird nur noch von ihrer alle Dimensionen von Verantwortungslosigkeit sprengenden Dummheit übertroffen.
Diese Männer sind vielleicht beim zuschauen witzig, aber sie sind eine absolute Zumutung als Väter. – Selbst abzüglich der Tatsache, dass sie in ihren Rollen komisch und ihr humoresk zugespitztes Verhalten natürlich eine Überzeichnung ist und der Unterhaltung dient.

Hal, der Vater in der Erfolgsserie Malcolm mittendrin, ist vielleicht nicht der totale Vollidiot, aber an der Seite seiner hysterischen Frau Lois der absolute Inbegriff des Erziehungs-Verweigerers, eines pädagogischen und menschlichen Losers, der maximal durch seine tollpatschige Unbedarftheit einige Sympathiepunkte sammelt. Ansonsten ist er ein männlicher Totalversager, der seinen vier Serien-Jungs weder Halt geben, noch Regeln vermitteln kann – im Gegenteil ihnen vorlebt, wie man sich vor allen und jedem zum Affen macht – und dabei von seiner Frau durch sexuelle Abhängigkeit zu einem hörigen Jammerlappen degradiert wird.

Fumé, der Vater von Grisu dem kleinen Drachen – ein tyrannischer, die Wünsche und Lebensentwürfe seines Sohnes torpedierender Traditionalist, dessen pädagogische Leitfäden Erniedrigung, Diffamierung und Demütigung sind. Er boykottiert die Pläne seines Sohnes nicht nur durchweg, er erfreut sich auch noch ernsthaft an dem immer wieder-kehrenden Stilmittel von Grisus Scheitern.

Kapitän Efraim Langstrumpf, Schrecken der Meere, König der Südsee, mag ein netter Kerl sein und das Herz auf dem richtigen Fleck haben, aber statt sich um seine teilverweiste ADHS-Tochter zu kümmern, die allein in einer baufälligen Bruchbude wohnt und sich von Schokolade und überbordender Phantasie ernährt, schippert der feine Herr Lamgstrumpf auf der Hoppetosse um die Welt und muss am Ende sogar noch von Pippi aus dem Knast befreit werden. Ebenfalls alles andere als ein Kandidat für den Vater des Jahres.

Anton Svensson, Michels Vater – der Inbegriff eines Dorftrottels, der – mit seinem zugegebenermaßen sehr herausfordernden Jungen – nicht nur nichts anzufangen weiß, sondern Schläge, Hausarrest und Beschimpfungen übelster Couleur als probate erzieherische Mittel etabliert.

Halvar von Flake mit dem IQ eines halben Findlings und dem Aggressionspotential eines angeblichen echten Wikingers, torpediert in jeder der gefühlt 500 Wicki-Folgen nicht nur die weiche Seite seines Sohnes, sondern er misst sich in Wettkämpfen mit ihm und ist sich anschließend nicht zu fein sich schamlos mit dessen grandiosen Ideen zu schmücken. Ein absolutes Voll-Arschloch – und dann noch mit Hörner-Helm!

Während Donald Duck wenigstens nur in der Rolle als Onkel vollständig versagt und seine Neffen Tick, Trick und Track – trotz Waisenstatus und eines weiteren geizigen Scheiß-Onkels – ihrer schlechten Sozialprognose trotzen und sich die männlichen Bezugspersonen bei den Fähnlein Fieselschweif suchen.
Oder Fred Feuerstein, obwohl Oberhaupt einer Familie hat man den mal eben so gar nicht als Vater auf der Uhr – sondern nur als dümmlichen Konterpart seines noch dümmlicheren Sidekicks Barney Geröllheimer.

Immer und immer wieder sind es die Mütter, sofern vorhanden, die diese tyrannischen, unfähigen und teilweise gefährlich dämlichen Väter negieren und den Kindern wenigstens von weiblicher Seite vorleben, was ein verantwortungsvoller Erwachsener so tut – oder eben nicht!
Humor hin oder her übrigens.
Die Loser, die ganz offensichtlichen Anti-Helden, sind nicht etwa potentielle Antagonisten, sondern die Männer, genauer die Väter der Serie oder des Films.

Es ist so erbärmlich wie traurig. Es ist ein Armutszeugnis und ich fühle mich als Mann und Vater – seit ich diese Tatsache entdeckt habe – regelrecht gedemütigt!
Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass offenbar Generationen von unterschiedlichsten Filmschaffenden – über die Gewerke und Jahrzehnte hinaus – immer den Vater als Deppen darstellen. Warum?
Ist es naheliegend? Ein Comedy-Mechanismus, den ich einfach nicht verstehe? – Einfach nur logisch, weil an die Erlebniswelt der Kreativen angelehnt?
Keine Ahnung, ehrlich nicht.

Ich kann mir eine gewisse Spitzzüngigkeit beim Schreiben einfach nicht klemmen, das liegt mir im Blut, obwohl mir das Thema doch eigentlich wirklich ziemlich ernst erscheint und in seiner Tragweite noch viel bitterer ist, als die humoresk zugespitzte Aufzählung all dieser vielleicht etwas überzeichneten Film-Väter.
Vielleicht steckt auch gar nicht so viel dahinter, wie ich hier ansatzweise behaupte – und ich habe mit Sicherheit auch positive Vertreter aus der aktuelleren Pop-Kultur übersehen!

Beispielsweise ist Mattis, der Vater von Ronja Räubertochter zwar auch nicht gerade der Hellste und in seinem Verhalten beinahe kindisch-dumm (abgesehen davon, dass er den Familienunterhalt als Räuber verdient) – aber er ist immerhin ein wenigstens liebender und liebevoller Vater und würde niemals zulassen, dass seiner Tochter etwas geschieht. – Aber selbst in diesem positiven Beispiel ist Lovis, Ronjas Mutter, der Inbegriff der fürsorglichen und verantwortungsvollen Erwachsenen – die nebenbei auch noch die Unzulänglichkeiten des Vaters ausgleicht.
Wiedermal.

Können Väter nur blöde und witzig gleichzeitig sein? Ist nur der unfähige Volltrottel in der Lage zu unterhalten? Ist das witzig um seiner Selbst willen? Oder ein Zufall?
Sind das die kolportierten Männerbilder, mit denen unsere Kinder aufwachsen?

Verdammt, das würde vielleicht erklären, warum ich in meiner Zeit als Pädagoge in der Jungen-Arbeit mit 12 – 16-jährigen Teenagern zu tun hatte, die sich als männliche Bezugspersonen solche Hirntoten wie Bushido, Kollegah oder Farid Bang ausgesucht haben. – Wenn die Helden der Kindheit allesamt auf Kartoffelbrei-Niveau durchs Leben mäandern, ist Bushido intellektuell eine wahre Lichtgestalt.
Und sind wir Väter vielleicht auch im echten Leben nicht mehr in der Lage ein Männerbild zu vermitteln, dass den präpubertären Teenager irgendwo zwischen Insta-Selfie und Pflegeprodukten für den fachmännisch getrimmten Hippsterbart abholt?
Wieder keine Ahnung, was braucht es, um Peppa Pig genormte Jungs auf dem Weg zum Erwachsenen zu begleiten?

Aber nicht nur Jungen, auch die Mädchen haben ein Problem. Die halten – sozialisiert mit dieser Art von entnussten Vaterfiguren – einen Kerl, der beim buchstabieren seines Vornamens nicht einkotet bereits für einen Sechser im Lotto. Das der Rest nur Hirnmus, eine Gucci-Bauchtasche und der Refrain eines Capital-Bra-Songs ist, kann man da getrost wegkoksen.

Leute, Männer, Väter – was ist da los? Übertreib ich?
Schreibt es mal in die Kommentare!

Kai Lüftner – DIE WELT IST EINE SCHREIBE

Kai Lüftner ist Autor, Texter, Kreativitäter, Tastaturverschleißer, studierte Sozialpädagogik, arbeitete als Streetworker, Kabarettist und Alleinunterhalter, Sozialarbeiter, Bauhelfer, Pizza-Fahrer, Türsteher, Werbe-, Auftrags- und Liedtexter, Comedy-Autor, Konzert-Veranstalter, Komponist und Musiker, Radioredakteur, sowie in Alten- und Kinderheimen.

Heute verdient er sein Geld als Hörbuchbearbeiter und Regisseur, als Musiker, Kinder- und Jugendbuchbuchautor und betreibt mit seiner Frau ein Café. Er lebt seit mittlerweile 1,5 Jahren mit seinen zwei tollsten Söhnen der Welt auf der schönsten Insel der Welt. Bornholm.

Der Text von Kai erschien am 20. Oktober 2020 zuerst auf kailueftner.de sowie auf seinem YouTube Kanal. Vielen Dank für die Veröffentlichung hier auf vaterwelten.de!

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Responses

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  1. Mega Text! Danke dafür! Habe mich weggeschmissen vor Lachen und war gleichzeitig erschrocken darüber, wie sehr du Recht hast. Zur Frage nach dem Warum fällt mir ein, dass ich mal irgendwo gelesen habe, dass Vaterfiguren in der Realität ja sehr lange sehr autoritär waren und dass deswegen die Angst vor diesen Vätern im über sie lustig machen verarbeitet wurde. Also wird, es passiert ja nach wie vor, obwohl es diese autoritären Väter ja in der Realität immer weniger gibt. Das einzige, was mich daran tröstet: Wir Mütter sind nicht allein damit, uns an dem Bild von Elternschaft abzuarbeiten, Väter haben auch ihr Päckchen zu tragen. Am besten werfen wir unsere Kräfte zusammen und entwickeln gemeinsam neue Bilder für alle!

    1. Deine Forderung hört sich wunderbar an, liebe Jannike! Wir sind dabei und machen mit 🙂 Interessanter Gedanke bzgl. der Verarbeitung des eigenen Vaterbildes! Werde ich mal weiter verfolgen!

  2. Ich finde den Text auch sehr gut geschrieben und ich kann den Kritikpunkt sehr gut nachvollziehen. Für mich persönlich aber spannend, da ich tatsächlich nicht so ein einseitiges Bild von Vätern in den Serien und Filmen erlebt habe, die mich als Kind geprägt haben. Meine Lieblingsfilme als Kind waren Sissi und Rosenresli, da gibt es jeweils relativ fürsorgliche Männerrollen und auch in Serien, z.B. bei „Meine kleine Farm“ war der dargestellte Vater für mich sehr facettenreich. Es gibt aber ja, auch Beispiele in denen „klassische“ Rollenverteilungen aufgetreten sind. Mein Problem kam erst, als die Kinder da waren und die Gesellschaft unmittelbar um mich herum viele Erwartungen an mich hatte und viel Kritik ausgeübt hat, während der Vater für Kleinigkeiten schon Lob bekommen hat. Vielleicht gibt es da medientechnisch bereichsspezifische Probleme? In Kinderserien die „für Jungen“ deklariert sind, geht es z.B. meiner Erfahrung nach auch fast immer ums Kämpfen. Es war und ist für mich immer noch schwer, meinen Jungs Rollenvorbilder in Kinderserien zu geben, die nicht „kämpfen“ oder wo es nicht „die Guten“ und „die Schlechten“ gibt. Ich glaube einfach nicht, dass man Menschen so einfach in gut und böse einteilen kann und hätte deswegen gerne etwas anderes für meine Kinder. Ich frage mich, ob es deswegen eben auch dieses Gefühl in vielen Menschen gibt, Feindbilder suchen zu müssen, um eben auch „Held“ werden zu können. Bin jetzt etwas abgedriftet. Entschuldigt. Danke für die tolle Reflexionsanregung! Auf das die „Rollen“ in Medien immer weiter verschwinden und mehr Platz für Vielfalt und Echtheit machen 🙂

  3. Dank dir Kai, für diesen unterhaltsamen und auch irgendwie wahren Text.
    Erst einmal schockiert es mich, dass das Männer-und Vaterbild in so vielen Kinderserien so dargestellt wird.
    Wenn man das, was man in den Serien sieht tatsächlich als Realität annehmen würde, dann wären wir ziemlich verkümmert und bestimmt auch nicht dort, wo wir sind.
    Ich finde, die Mütter/ Stiefmütter bekommen in vielen Märchen ihre gestörte Psyche aufgedrückt.
    Rapunzel, Aschenputtel, Hensel und Gretel, Schneewittchen sind da nur ein paar Beispiele.
    Egal, ob Märchen oder Kinderserien…vieles davon sind keine Beispiele, für reale und gesunde Beziehungen.
    Ich persönlich mag die Geschichte über Pipi Langstrumpf. Sie hat keine Mutter und der Vater fährt als Pirat auf den Meeren. Die Keckheit und scheinbare Freiheit, die sie ohne Kompromisse lebt, ist etwas, was mich persönlich sehr anspricht.
    Stelle dir mal vor, wir würden in Märchen und Kinderserien immer nur heile Welt und Beispiele für ideale Bezugspersonen sehen?
    Vielleicht dienen diese auch gewalttätigen und unrealistischen Geschichten dazu, sie als eine Art Referenz zu sehen, um sie für den Austausch mit den Kindern zu nutzen und um das, was in der Realität lebenswert ist, hervor zu heben.

    Meine 5jährige Tochter fragt mich nach einer gemeinsam gelesenen Geschichte, ob das ein Märchen war. Damit zeigt sie mir bereits, dass sie ein Gefühl für Fiktives und Reales hat. Der nächste Schritt wäre, sich gemeinsam diese „negativen Eigenschaften“ der Protagonisten in den Serien und Geschichte anzuschauen, um im Dialog mit dem Kind das versuchen herauszufinden, was lebenswert und realistisch sein kann.
    Manche Märchen darf ich gar nicht vorlesen, da sie zu gruselig sind. Auch hier realisiere ich bereits einen „natürlichen Filter“ für etwas, was von meiner Tochter nicht aufgenommen werden will und nutze das ebenso, um in den Austausch zu gehen.
    Also, diese negativen Beispiele in Geschichten und Märchen haben irgendwie einen Sinn!

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