Erfahrungsbericht Attachment Parenting aus Vatersicht: Ein Interview mit Leoni
Vor einigen Tagen schrieb mich Leoni aus Wiesbaden an und stellte mir viele Fragen zum Thema Beziehung, Attachment Parenting und Elternzeit. Sie war besonders an der Vater-Perspektive interessiert. Es entstand eine kleine Korrespondent, die ich hier gerne sortiert und geordnet wiedergeben möchte.
Wir möchten auch eine lange Vater-Elternzeit. Und um die Aufgaben wirklich gerecht abzuwechseln, würde ich in der Zeit das Einkommen bestreiten. Leider kann ich nicht Homeoffice arbeiten. Wie haben du und deine Frau die Elternzeiten jeweils aufgeteilt? Ab wann ist sie nach der Geburt wieder arbeiten gegangen und wie viel?
Leoni
Meine Frau und ich haben die Elternzeit gleichwertig zu je 7 Monaten aufgeteilt. Seit Bekanntwerden der Schwangerschaft befand sich meine Frau im Beschäftigungsverbot, da sie auf Intensivstation mit Keimen und gefährlichen Sachen in Berührung kommen könnte. Unsere Tochter wurde im Februar 2016 geboren und eigentlich hätte meine Frau Mitte September 2016 wieder arbeiten müssen. Da sie aber den ganzen Jahresurlaub von 2015 noch vor sich gehabt hätte, dieser aber aufgrund der Schwangerschaft nicht verfallen darf, musste sie also zwangsläufig den Jahresurlaub plus Überstunden von September bis Ende November 2017 nehmen.
Sie war also 1,5 Jahre aus dem Job raus und meine Elternzeit überschnitt sich für einige Wochen mit ihrer. Wir sind dann mit unserem VW Bus durch Europa gereist und haben es uns in Spanien gut gehen lassen. Seit Dezember 2016 arbeitet meine Frau wieder und ich war bis Ende März 2017 mit der Kleinen zu Hause. Während dieser Zeit habe ich auch meinen alten Job gekündigt, weil ich als Sozialpädagoge in einem ehrenamtlichen Sportverband viel abends und am Wochenende arbeiten musste. Das passte nicht zu einer Bindungsorientierten Familienbeziehung. Der Zufall wollte es aber, dass ich ein Angebot ab April 2017 für 20 Stunden erhalte, das ich nicht ablehnen konnte. Seitdem arbeiten wir beide in Teilzeit; meine Frau 30 Std, ich 20 Std. im selben Krankenhaus jeweils vormittags und nachmittags. Das klappt richtig gut und sogar an einem Tag in der Woche springen die Großeltern ein, damit wir einen Nachmittag gemeinsame Zeit verbringen können. Dann arbeiten wir beide nämlich vormittags und haben nachmittags frei.
Wie hat dein Kind den Betreuungspersonen-Wechsel akzeptiert (z.B. das wegfallende Stillen)? Wie lange am Stück konnte sie von eurem Kind getrennt sein? Ging das „trotzdem“ mit dem Hauptperson-Bezugswechsel in Ordnung?
Leoni
Meine Frau ist morgens um 7:45 Uhr aus dem Haus gegangen und kam um 14:15 Uhr wieder zurück. Diese Zeit war kein Problem, war aber schon gut, als sie wieder da war. Mittagsschlaf war auch kein Thema, denn ich habe mich immer zu der Kleinen ins Bett gelegt und ihr die Muttermilch aus einer Flasche gegeben, hab leise und monoton gesungen und hatte auch mal 1-2 Std. Zeit für mich. Aber: jedes Kind ist anders. Die Tochter meine Schwester schläft öfters und länger, heute noch. Unsere Tochter macht mittlerweile keinen Mittagsschlaf mehr, also kann man das schwer pauschal beantworten. Man(n) muss sich bewusst drauf einlassen und sich keine Termine machen. Ganz wichtig, sonst hat man immer das Gefühl, etwas zu verpassen oder los zu müssen oder oder oder. Das merken die kleinen Würmer und dann ist das Theater groß! Also sich selbst nach ganz hinten stellen und das Kind nach vorne, anders läuft „bedürfnisorientiert“ nicht! Wenn das Kind versorgt ist, kann man sich um die Beziehung kümmern und ganz zum Schluss um sich selbst.
Den Betreuungswechsel hat unsere Kleine von Anfang an akzeptiert. Das lag auch daran, weil wir im Grunde einige Wochen zusammen eine tolle Zeit hatten. Es war aber schon ein wenig anstrengend, weil ich ja keine Brüste habe und wir wenig mit Flasche füttern wollten. Mussten wir dann aber, was auch so lala geklappt hat. Je nachdem, wie dein Kind tickt und welchen Charakter es hat, braucht Mann dabei schon starke Nerven. Aber alles gut gegangen, war bei uns ja eine bewusste Entscheidung; also ich wusste, worauf ich mich einlasse. Und sobald meine Frau wieder da war, wurde gestillt… und es wird immer noch gestillt, unsere Kleine ist jetzt 1,5 Jahre alt! Klappt nach wie vor super!
Mein Mann ist ein äußerst fantastischer, einfallsreicher, liebevoller Vater und wir waren uns schon lange einig, Elternzeit und „Carearbeit“ sowie Erwerbsarbeit paritätisch zu teilen. Eben um uns beide als starke Bezugspersonen zu etablieren, zu ermöglichen, dass jeder die Lebenswelt des anderen nachvollziehen kann, für Gleichberechtigung in beiden Richtungen. Wir hätten es unfair gefunden, den Vater einfach außer Hauses in die (Über-)Vollzeitarbeit zu verbannen, auch wenn die gesellschaftliche Anerkennung dieses favorisiert.
Leoni
Da stimme ich dir absolut zu! Rüdiger von mannpluskind.de würde antworten: „Männer können alles, außer Stillen!“ Dadurch, dass wir beide immer bei unserer Tochter waren und sind, erkennt sie uns beide als gleichwertige Bezugspersonen an. Sie hatte mich auch oft Mama genannt, weil Mama einfacher zu sprechen war, als Papa, jedenfalls für sie. Sie war und ist gleich gerne bei mir und macht keinen Unterschied. Wir machen auch fast alles zusammen und gewährleisten so, dass wirklich immer einer von uns beiden Bezugspersonen für sie da ist. Wir erklären alles und beziehen sie in Entscheidungsprozesse mit ein, daher versteht sie auch, dass Mama jetzt arbeiten geht oder Papa jetzt den Abend nicht zu Hause ist und Mama sie ins Bett bringt. Alles ohne Weinen und Trösten, eben weil sie weiß, dass wir zurückkommen und mindestens einer von uns bei ihr ist.
Du schreibst, ihr seid auch Bedürfnisorientiert als Eltern, was ich super finde und gerade bei dieser Einstellung leider selten eine Vaterperspektive zu hören ist. Kannst Du mir dazu Tipps geben? Ab wieviel Monaten funktioniert das? Da wir auch sparsam leben, wollen wir wirklich nach dem Wohl des Kindes und der Partnerschaft entscheiden und nicht primär nach dem Geld.
Leoni
Tipps? Mmmh, also auf jeden Fall auf die Bedürfnisse des Kindes hören und sich nicht drüber stellen, also nicht bagatellisieren. Vor der Geburt bist du als Individuum dir selber die wichtigste Person. Dann kommt deine Beziehung und dann irgendwer anders. Sobald du ein Kind hast, wechselt diese Wichtigkeit schlagartig. Das Kind steht ganz oben auf der Liste, dann kommt lange nichts und dann die Beziehung! Erst an dritter Stelle kommt man selber mit seinen Bedürfnissen und Sorgen und Wünschen und so weiter. Ich glaube, dass Männer – verallgemeinert und überspitzt gesprochen – den Fehler machen, dass sie sich noch immer zu wichtig nehmen, die Frau aber das Kind an erster Stelle setzt. Das erzeugt Konflikte. Also der heiße Tipp von mir: erst das Kind, dann die Beziehung, da du selber. Ist manchmal gar nicht so einfach, die eigenen Eitelkeiten beiseite zu räumen! Aber sprechenden Menschen kann geholfen werden. Der Austausch mit der Partnerin/dem Partner ist wichtig und sollte regelmäßig stattfinden!
Die eigenen Werte nach der Zeit zu bemessen, ist wichtiger, als sie nach dem Geld zu bemessen. Unser Credo ist, dass wir die wenige Zeit die wir haben, lieber mit Qualität füllen wollen, als sie für sinnfreie Arbeit zu vergeuden. Wir wollen sehen, wie unsere Tochter aufwächst und am Leben teil nimmt. Das geht nur, wenn wir die Priorität auf das Leben legen und nicht auf die Arbeit. Ich denke, ihr macht es genau richtig und deine Fragen sind der erste Schritt dahin, es so zu tun, wie du es für richtig hältst. Denn letztendlich kann dir niemand deine Bedürfnisse abstreiten oder klein reden. Wenn du einen Mann gefunden hast, der mit dir dieses Modell leben will, dann zögere nicht und gestaltet aktiv ein tolles Leben als Familie. Dieser Wert ist tausendmal größer, als alles Geld, das man verdienen kann!
Tausend Dank für Deinen schön gestalteten Blog und dafür, dass Du engagierten, aktiven Vätern eine Stimme gibst! Besonders angesprochen hat mich dabei auch, wie Ihr das „Zeit statt Geld“ – Konzept lebt. Besonders den „Verzicht“ auf Auto, Fernreisen etc. – gerade bei jungen Eltern ist es nicht selbstverständlich, die Lösung im Fahrrad, in der Region und im eigenen Einfallsreichtum zu suchen.
Leoni
Ich denke jedoch auch, dass Kinder mehr von einem präsenten Papa als von einem schicken Haus profitieren und wollte euch daher zu eurem Weg gratulieren und viel Kraft und alles Gute wünschen!
Sehr gerne, vielen lieben Dank und alles Gute für dich und deine Familie!
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