Linus Giese – Ich bin Linus

Schon das Cover lässt erahnen, dass es sich bei dem Buch von Linus Giese um ein besonderes handelt. Auf einem Coffee-to-go-Becher steht „Ich bin Linus“. Die Banderole trägt die Farben der trans community. Linus erzählt seine persönliche Geschichte, wie er der Mann wurde, der er schon immer war.

Linus ist Anfang dreißig, als er für sich entschließt, sich »Linus« zu nennen. Das ist besonders, denn bis zu diesem Zeitpunkt im Oktober 2017 hatte Linus einen anderen Namen und wurde als Frau gelesen. Seine Geschichte beginnt in einer Starbucks-Filiale am Frankfurter Hauptbahnhof, als er vom richtigen Gefühl berichtet und seinen Namen zum ersten Mal öffentlich ausspricht: Der Barista schreibt auf den Coffee-to-go-Becher »Linus«. Was an sich ein völlig normaler Moment des Bestellvorgangs ist, war für Linus der Beginn eines neuen Lebensabschnitts.

Linus nimmt uns in diesem Sachbuch mit auf eine aufregende Reise zu sich selbst. Wie einfach ließe es sich schreiben, dass er im falschen Körper geboren wurde oder früher eine Frau war. Oder dass andere Ereignisse ihn dazu bewogen haben, fortan als Mann zu leben. Doch so einfach ist es nicht und Linus lässt uns das wissen. Liebevoll klärt er uns über Mythen und Klischees auf, indem er unglaublich persönliche Einblicke in sein Leben, seine Psyche und seine Gedankenwelt gibt. Gleichzeitig gibt er praktische Tipps für trans Personen, die vor der Entscheidung stehen, sich Hormone spritzen zu lassen oder den Namen zu ändern. Er macht Mut und empowert uns, auf dem richtigen Weg zu sein. Denn auch binäre Personen werden sicherlich die ein oder anderen Erkenntnisse gewinnen. Sämtliche Fragen, die auf den ersten Seiten aufkommen beantwortet Linus im weiteren verlauf des Buches.

Dass trans Personen in der gegenwärtigen Gesellschaft eine Randgruppe bilden, wird auf nahezu jeder Seite deutlich. Linus erzählt von transfeindlichen Übergriffen, digitaler Gewalt und Stalking. Alleingelassen von Polizei und Staatsanwaltschaft sind es vor allem Freunde und Bekannte, die ihm zur Seite stehen. Und obwohl Linus täglich Angst davor hat, bedroht zu werden, steht er in der Mittel des Raumes und ist sichtbar. Dieser Raum ist Twitter, das Buch und das reale Leben. Begonnen hat Linus mit der Rezension von Büchern. Daneben schreibt er in Tageszeitungen, auf Twitter und eben in diesem Buch über seine Transition zum Mann. In Workshops und auf Vorträgen macht er sich und trans Menschen sichtbar. Das Private wird politisch. Linus zeigt Flagge und gibt der trans community eine Stimme. Er klärt auf, mischt sich ein, korrigiert und sagt Nein! Und Ja, denn er ist Role Model für eine gleichberechtigte und gleichwertige Teilhabe an der Gesellschaft.

Mich hat das Buch sehr bewegt, obwohl ich cis Mann bin, oder gerade weil ich ein cis Mann bin. Hin und wieder fällt es Menschen schwer, mir eine eindeutige Geschlechterrolle zuzuschreiben. Mal lesen sie bei mir „typisch weibliche“ Attribute heraus, mal „typisch männliche“. Wobei das eher aus einer Unsicherheit entsteht, weil diese Personen mich nicht eindeutig lesen können. Damit spiele ich bewusst und komme so ins Gespräch. So einfach ist es bei Linus nicht, denn er wird angefeindet oder überhöht gezeichnet. Er möchte nicht als binärer cis Mann gelesen werden, sondern als genderqueerer trans Mann. Linus schreibt so tiefgründig, so ehrlich, so emphatisch und gleichzeitig so direkt in die Fresse, dass klar ist, was Sache ist. Trans Menschen sind Teil der Gesellschaft – Deal with it! Niemand hat das Recht und die Erlaubnis, trans Personen zu diskriminieren, zu stigmatisieren oder zu marginalisieren!

An vielen Stellen habe ich geweint, weil ich von den Selbstzweifeln aber auch von der Solidarität tief berührt war.  Zum ersten Mal habe ich von trans Menschen, die eine Transition machen, gehört, als ich etwa 14 Jahre jung war. Damals gab es einen Bericht in der Bravo. Weil mir damals meine Geschlechtsidentität und Rolle nicht bewusst war, hätte ich dieses Buch sehr gerne in meiner Jugend gelesen. Es hätte mir auf so vielen Ebenen geholfen herauszufinden, wer ich bin und wer ich sein möchte. Allein die Frage, was Männlichkeit(en) bedeutet, macht dieses Buch so lesenswert. Es weitet den Raum für diesen Begriff allein schon deshalb, weil auch Männer ihre Regelblutung bekommen können und schwanger werden können. Um das zu verstehen, braucht es Menschen wie Linus!

Wenn wir also über die Rolle von Vaterschaft sprechen, müssen wir auch den Blick auf die queere community richten. Regenbogen Papas und trans Väter sind ebenso Teil der Gesellschaft, wie cis Männer. Sie sind liebevolle und liebenswerte Väter, wie alle anderen auch. Ihnen dies in irgendeiner Art und Weise abzusprechen ist nicht nur transfeindlich und homophob, sondern unmenschlich. Also lest dieses Buch, folgt Linus auf Twitter und sprecht über die Vielfalt von Vaterschaft. Denn #VaterschaftIstMehr

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