Rezension: Von wegen Bienchen & Blümchen
Im Biologieunterricht der 7. Klasse haben wir irgendwann über das heikle Thema Sexualität gesprochen. Natürlich haben alle gekichert und niemand von den pickeligen Jungs und Mädchen wollte frei darüber sprechen. Ich kann das immer noch gut verstehen, schließlich ist Sexualität etwas sehr persönliches. Dass wir es als Erwachsene aber immer noch nicht geschafft haben, über Sexualität frei zu sprechen, zeigen irritierende und Scham behaftete Reaktionen, wenn die Geschlechtsteile beim Namen genannt werden: Penis, Vulva. Das Buch von Carsten Müller, Sarah Siegl und Claire Völker möchte das ändern. Ich darf es dir heute vorstellen und drüben auf Instagram sogar 1 Exemplar verlosen!
Carsten Müller ist etablierter Sexual- und Paartherapeut mit eigener Praxis in Duisburg und hat zusammen mit Sarah Siegl und Claire Völker ein Buch über Aufklärung, Gefühle und Körperwissen für Kinder herausgebracht. Auf 48 Seiten nähert sich das Buch dem Thema Sexualität über die Vielfalt der Menschen. Entsprechen bunt und divers ist das gesamte Buch aufgebaut. So finden sich bereits auf den ersten Seiten Schwarze Menschen, Weiße Menschen, Menschen mit Handicap sowie Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Gleich zu Beginn werden die Erwachsenen aufgeklärt, dass es neben den binären Geschlechtern männlich und weiblich noch ein Drittes Geschlecht gibt. Es ist die Aufgabe der Eltern und Pädagogen*innen, darüber aufzuklären.
„Auch wenn Sie es sich nicht vorstellen können: Die wenigsten Kinder werden die Information zum Dritten Geschlecht hinterfragen – und es wird sie schon gar nicht verstören.“
Carsten Müller
Im weiteren werden die Geschlechtsteile illustratorisch dargestellt deren Merkmale benannt. Mädchen haben eine Vulva, Jungen einen Penis. Und Menschen sind verschieden und einzigartig. Es gibt große, kleine, dicke, dünne, Menschen mit einer Brust, Menschen mit hängenden Brüsten, Menschen mit kleinem oder großem Penis und vielen oder wenig Haaren am Körper. Aber das Buch beschreibt nicht nur den Körper und seine Unterschiede, es geht auch auf die unsichtbaren Prozesse im Körper ein. Gefühle sind das Stichwort. Es werden Situationen gezeigt, in denen Kinder wütend und irritiert sind oder das Gefühl nicht klar benennen können. Immer gibt es eine Hilfestellung für Erwachsene, die Kinder dabei zu begleiten.
Die Persönliche körperliche Grenze darf auch von Erwachsenen nicht überschritten werden. Das beginnt oft schon in Situationen, wenn Kinder alleine auf der Toilette sitzen oder im Schulsport sich in der Umkleide anziehen. Scham ist ein wichtiger Indikator für das Überschreiten von solchen Grenzen – und auch kleine Kinder empfinden bereits Scham. Das Buch begleitet Kinder und Erwachsene dabei, die Gefühle genauer unter die Lupe zu nehmen und sensibel dafür zu werden.
Die Autor*innen nehmen die Lesenden mit auf eine Entdeckungsreise in die Sexualität. Kinder entdecken schon im Alter von zwei Jahren ihren Körper und Erwachsene können dies begleiten. Dabei setzen Regeln wichtige Rahmenbedingungen für dieses Detektivspiel. Wer kennt nicht die spielenden Kinder, die Arzt oder Familie spielen und dabei ihren Körper erkunden. Eltern werden ermutigt, das Spiel unter bestimmten Regeln zu begleiten.
Immer weiter taucht das Buch in die Sexualität ein und gelangt schließlich zu der Frage, wo eigentlich die Babys herkommen. Das Wettrennen der Samenzellen zur Eizelle der Frau beantwortet die Frage bildlich. Aber nicht nur Mann und Frau lieben sich und haben Spaß zusammen. Auch zwei Männer oder zwei Frauen kommen sich körperlich nahe und werden als liebendes und lustvolles Paar gezeigt. Ja, Sex kann Spaß machen und oft stöhnt man dabei, ist dort zu lesen. Klasse!
Das Buch beschreibt im weiteren Verlauf die verschiedenen Lebens- und Liebensphasen mit seinen körperlichen Veränderungen bis zur Pubertät. Liebeskummer, die erste Begegnung mit Pornografie, Haare am Sack und die Menstruation. Selbst der Samenerguss wird thematisiert und normalisiert. Alles halb so schlimm, schließlich kommt es wie in vielen Bereichen auf die Kommunikation an.
Das Buch von Carsten Müller kommt zur passenden Zeit. Unsere Kinder entdecken sich im Symbolspiel und stellen viele Fragen über ihren Körper, Sexualität und Babys. Sehr oft und sehr gerne sitzen wir mit dem Buch auf dem Sofa und lesen darin. Die kleinen Begleittexte helfen mir als Vater dabei, normal über Sexualität zu sprechen. Die Illustrationen sind großartig gelungen und die Texte für Kinder und Erwachsene nicht zu lang oder zu kurz. Vielmehr kommen wir über die Illustrationen ins Gespräch und sprechen über das, was wir sehen. Denn zu sehen gibt es einiges.
Das Buch möchte aufklären und nimmt sowohl Kinder als auch Erwachsene mit auf die Reise zur eigenen Sexualität. Carsten Müller gelingt es, zusammen mit Sarah Siegl und Claire Völker, das spannende Thema Sexualität kindgerecht und spannend darzustellen. Dieses Buch begleitet uns jetzt schon seit einigen Wochen und wird sehr gerne von allen in der Familie gelesen. Wir haben es als Eltern und Pädagogen*innen in der Hand, unsere Kinder selbstbestimmt zu begleiten. Dieses Buch hilft dabei, Unsicherheiten zu überwinden und Sexualität klar zu benennen. Lasst es uns anders machen, damit die Aufklärung nicht erst im Sexualkundeunterricht stattfindet.
Ein mit unserem Kind befreundetes Kind bekommt dieses Buch vorgelesen. Inzwischen habe ich von unserem Kind folgendes erfahren: Jenes Kind hat bei der „freien Entfaltung seines Entdeckungsdranges“, aka beim Doktorspielen, mehrfach die körperliche Grenze unseres Kindes missachtet, und diese Grenzüberschreitung unter anderem auch mit emotionaler Manipulation durchgesetzt. Nichts richtig übles, aber genug, um unser Kind zu verstören und es das Spiel als unangenehm erleben zu lassen.
Ich werde dem Buch nicht die alleinige Verantwortung dafür zuschreiben.
Aber als präventives Mittel hat es eindeutig versagt, um es höflich zu formulieren.
Zum Verständnis der konkreten Situation: Besagtes Kind wird in seinem Zuhause generell so begleitet, dass seine Wünsche und Bedürfnisse möglichst Priorität haben (Bedürfnisorientiert). Beide sind ungefähr im gleichen Vorschulalter und vom gleichen biologischen Geschlecht. Der Unterschied zwischen beiden Kindern besteht vor allem in der Persönlichkeit und in der Erziehung. Und es ist nicht schön zu sehen, dass diese „gewaltfreie“ Art von „Erziehung“ übergriffige und emotionale Gewalt nicht nur nicht verhindert, sondern sehr wahrscheinlich sogar noch gefördert hat. Wir werden diese „Freundschaft“ in Zukunft sehr aufmerksam beobachten und den Kontakt auf ein Minimum reduzieren.
Keine Empfehlung für dieses Buch.
Vielen Dank für deinen Kommentar und für das Teilen deiner Erfahrungen. Es tut mir sehr leid zu hören, dass dein Kind eine so unangenehme Erfahrung gemacht hat, und ich kann verstehen, dass du besorgt bist, dass das Buch möglicherweise nicht als präventives Mittel geeignet ist. Hast du es gelesen?
Wie du richtig schreibst kann das Buch nicht für das Verhalten des anderen Kindes verantwortlich gemacht werden. Jedes Kind hat seine eigene Persönlichkeit und Erziehung, und es gibt viele Faktoren, die das Verhalten und die Interaktionen von Kindern beeinflussen. Carsten Müller schreibt in dem Buch mehrfach und ausführlich, dass persönliche Grenzen eingehalten werden müssen und zum Beispiel keine Gegenstände in Körperöffnungen gesteckt werden. Das Buch richtet sich sowohl an Eltern als auch an Kinder und sollte gemeinsam gelesen werden.
Es ist eine gute Idee, die Freundschaft zwischen deinem Kind und dem anderen Kind aufmerksam zu beobachten und gegebenenfalls zu reduzieren, wenn du Bedenken hast. Es ist auch wichtig, offen und ehrlich mit deinem Kind zu sprechen, um sicherzustellen, dass es sich sicher und unterstützt fühlt und um mögliche weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden.
Vielen Dank noch einmal für deinen Kommentar und dein Feedback zur Rezension.