Auf dem Weg zur Bindung und mir selbst

Vor genau einem Jahr habe ich bei meinem Arbeitgeber Elternzeit beantragt angemeldet. Wow, wie die Zeit vergeht. Meine Frau war zu dieser Zeit schon im Berufsverbot und konnte sich intensiv mit ihren Erwartungen und Befürchtungen auseinander setzten. So richtig vorbereitet auf das, was kommt, war ich ich nicht. 7 Monate Elternzeit. 1 Monat ab Geburt, 6 Monate ab September. Hoffentlich kann ich eine stabile Bindung zu meiner Tochter aufbauen.

Kopf voller Arbeit

Vielleicht erging es mir wie anderen Männern auch. Der Kopf war voller Arbeit, der Kalender voller Termine und die Laune der Frau im Keller. Das Baby habe ich bis zum Beginn meiner 6-monatigen Elternzeit selten gesehen. Auch nicht am Wochenende. Denn als Bildungsreferent arbeite ich viel an Wochenenden. Plus Überstunden in der Woche. Der Job ist super, wenn man Single ist. Doch sobald du Familie hast, möchtest du die Zeit gerne mit ihr verbringen, auch am Wochenende. Hinzu kommt, dass wir direkt zu Beginn der Elternzeit eine mehrmonatige Reise starten wollten. Die Planungen hat dann meine Frau komplett alleine übernommen. Ja, sie macht es gerne und ja, ich habe ein schlechtes Gewissen. Gerne hätte ich sie bei der Planung unterstützt.

Ich gebe es zu, mein Kopf war so voller anderer Gedanken über Projekte, Events, Arbeit, Stress, Konflikten und noch mehr Arbeit, dass ich ich mich wenig freuen konnte auf das, was kommt. 6 Monate Elternzeit. Eine große Herausforderung. Nicht mal das Herunterzählen im Kalender hat so wirklich Freude bereitet. Vielmehr stieg in mir die Sorge, die Angst, kein toller Papa zu sein. Wahrscheinlich kriegen wir nicht mal eine stabile Bindung hin. Oje, die Kleine wird ja auch immer älter, wird in der kommenden Zeit krabbeln lernen und möchte die Welt entdecken. Meine Frau geht ab Dezember (2016) wieder arbeiten, ich bin mit dem Baby zu Hause… oje oje, ob das gut geht?

Was sagt mein Herz?

Ich möchte ein Papa sein, der seine Tochter einfühlsam, feinfühlig und liebevoll begleitet. Dabei möchte ich mit ihr spielen, singen, tanzen, Blödsinn machen und auch die Welt erkunden. Doch unter welchen Voraussetzungen? Ich bin gestresst, hab den Kopf nicht frei, bin dünnhäutig und leicht gereizt. Meine Frau hat eine enge Bindung zu der Kleinen aufgebaut und weiß die Signale zu lesen. Hat sie Hunger, hat sie die Windeln voll, hat sie Bauchweh, ist sie müde und so weiter. Das alles kenne ich nicht, oder zumindest nur aus Erzählungen. Und noch mehr. Beim Einschlafen gibt es Rituale, die ich kaum beherrsche. Bin ja nie da oder komme erst spät nach Hause. Mich ärgert das.

In den ersten Wochen unserer gemeinsamen Elternzeit hatte ich also Zeit, die Kleine, meine Frau und mich besser kennenzulernen. Letzteres war so nicht beabsichtigt. Mehr dazu in einem späteren Beitrag. Im Grunde habe ich mir das ja immer gewünscht. Papa und Hausmann zu sein. Eine tolle Vorstellung. Vorher machen wir eine Reise durch Frankreich und Spanien, wow. Ein Traum für den wir uns extra einen VW Bus gekauft haben. Doch mein Kopf leert sich nur sehr mühsam. Es ist fast so, wie vor einem Jahr, als wir eine Rundreise durch die USA gemacht haben. Dort habe ich auch den Groll von der Arbeit mit mir herumgetragen und konnte die Reise kaum genießen. Das soll so nicht noch einmal vorkommen!

Sinn und Unsinn

Meine Frau muss während der Reise sehr geduldig mit mir gewesen sein. Viele wiederkehrende Gespräche über Job, Karriere und gesellschaftliche Vorurteile prägen die gemeinsamen Abende. Nur langsam sortiert sich mein Kopf. Viele Dinge beginnen sich zu relativieren und verlieren an Bedeutung. Je länger ich Zeit mit meiner Frau und unserer Tochter verbinge, umso mehr werden wir zu einem richtig gut funktionierenden Team. Man sagt ja immer, dass Struktur und geregelte Abläufe für Kinder wichtig sind. Ich glaube, auch für uns Erwachsene sind sie wichtig. Aufgaben sollten Sinn haben und Sinn ergeben. Erst dann sind wir glücklich. Ich brauche noch etwas Zeit.

An einen Abend fing unsere Kleine im Schlaf plötzlich laut an zu schreien. Als ich zu ihr in den VW Bus stieg, um sie zu beruhigen, rief sie zum ersten Mal lautstark „MAAAAAAMAAAAA“. Ui, was ist das jetzt? Mama? Na toll. Und was ist mit Papa? „Deine Zeit kommt noch,“ ermutigt mich meine Frau und klettert zur Kleinen ins Bett. Klar. Für Liebe und Fürsorge ist schließlich meine Frau zuständig. Gar nicht so einfach mit der Bindung. Immerhin lässt sich die Kleine von mir tragen, von mir füttern (immerhin) und spielen ist auch kein Problem. Doch beruhigen und zum Einschlafen bringen, das klappt auf der Reise gar nicht. Und es soll noch einige Wochen andauern.

Das Jahr fängt ja gut an!

Es ist kurz vor Silvester und mittlerweile sind wir seit zwei Monaten wieder zu Hause. Meine Frau geht seit einigen Wochen wieder arbeiten und ich verbringe die Tage mit der Kleinen. Inklusive Mittagsschlaf. Das war am Anfang mehr als hart. Für 1,5 Stunden Mittagsschlaf habe ich manchmal 3 Stunden Zeit gebraucht. Einmal kam meine Frau im Nachmittag von der Arbeit nach Hause und die Kleine schlief immer noch. „Willst du sie nicht wach machen?“ fragt sie erstaunt. „Ne, sie schläft erst seit einer Viertelstunde.“ Begeisterung pur. Bei allen Beteiligten. Entsprechend ausgelaugt ist mein Körper. Von den Kratzspuren im Gesicht mal ganz zu schweigen. Die Nägel müssten auch mal wieder geschnitten werden. Meine Rückenschmerzen vom Tragen sind zu stark, dass ich bei einer Osteopathin in Behandlung bin. Mein Schlafmangel so hoch, dass ich mittags beim Spielen wegnicke, während die Kleine unsere Wohnung unsicher macht.

Doch hej, was soll ich sagen. Seit ein paar Tagen sind wir bffbest friends forever – yeha! Leute, es ist so der Hammer. Die Kleine krabbelt zum Wickeltisch wenn die Windel voll ist. Sie umklammert mich ganz doll, wenn sie müde ist und schmatzt, wenn sie Hunger hat. Vorbei die Zeit, dass ich nicht wusste, was sie hat oder was sie will. Alle schreien nach „bedürfnisorientierter Erziehung Begleitung“ doch das zu leben, ist mehr als hart! Aber wir haben es gemeinsam geschafft! Wenn Mama das Haus verlässt, winkt die Kleine und spielt anschließend mit mir im Wohnzimmer. „Wow“ werdet ihr jetzt sicher denken. Ganz großes Kino. Ja, aber hej, ich bin angekommen. Ich verspüre bedingungslose Liebe und pures Vertrauen. Das macht mich zum glücklichsten Papa überhaupt. Uns verbindet ein so enges Band, das selbst das Ins-Bett-geh-Ritual ein Kinderspiel ist. Jalousie runter, Flasche vorbereiten, Buch vorlesen, kuscheln, einschlafen, fertig. Irre, oder?

Freie Wochenenden und eine starke Bindung!

All die Erfahrung der letzten Monate haben meinen Entschluss bekräftigt, dass ich nach meiner Elternzeit nicht mehr in meinen alten Job zurückgehen werde. Die gemeinsame Zeit mit der Kleinen hat mir gezeigt, was im Leben wichtig ist. Es ist nicht das Geld, sondern vielmehr gemeinsame Zeit. Qualitätszeit. Ich möchte die Zeit mit meiner Tochter sinnvoll genießen. Deswegen habe ich meinen Job gekündigt. Nein, einen neuen habe ich noch nicht. Das werden einige nicht verstehen und andere nicht akzeptieren, doch für mich ist es eine innere Überzeugung. In meinem nächsten Job verbringe ich dann die Wochenenden zu Hause und muss hoffentlich in der Woche nicht allzulange arbeiten. Falls das doch mal passieren sollte, krame ich diesen Beitrag heraus und vergewissere mich, ob ich auf dem richtigen Weg bin.
 

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