Warum wir eine sonderbare Familie sind
Das Leben ist wie eine Wanderung auf einem Pfad. Aus zwei Wegen wird ein gemeinsamer, der mal flach, mal steil rauf und wieder runter verläuft. Mal geht es langsam voran und mal schneller. Mal hast du das Gefühl, jemanden aus den Augen zu verlieren und mal holt dich eine neue Person ein. Wie du deinen Wanderweg gestaltest, hängt einzig und allein von deiner inneren und äußeren Einstellung ab. Nicht immer verlief mein Wanderweg geradlinig und eben.
Den Castortransport 1998 ins »Brennelemente Zwischenlager Ahaus« (BZA) habe ich als 14-jähriger Demonstrant hautnah miterlebt. Meine Generation, die für unsere Umwelt demonstriert und gegen Atomkraft. Aber auch die Brutalität der Polizei. Heute geben Greta und Fridays For Future frischen Rückenwind für ein Umdenken im Kleinen und Großen. Dazwischen liegen Jahre der Ressourcen-Verschwendung und des Konsums.
Seit ich Corinna kenne hat sich mein Leben sogar um 180 Grad gedreht. Bis vor drei Jahren ernährte ich mich noch sehr ungesund und pendelte mit dem Auto eine halbe Stunde zur Arbeit. Corinna reiste oft und gerne in weit entfernte Länder und wollte in ihrem Urlaub viel erleben. Gemeinsam sind wir 2015 in die USA geflogen und haben in einem Monat tausende Kilometer mit einem Van gerissen. Ernährt haben wir uns in dieser Zeit sehr ungesund. Nahezu alles, was wir damals gemacht haben, machen wir heute nicht mehr.
Am Anfang waren es nur kleinere Veränderunge, dann immer größere. Mit der Geburt unserer Kinder schlugen die Veränderungen dann auch auf unseren Freundes und Bekanntenkreis über. Seitdem leben wir in einer Filterblase und treffen uns mit Menschen, die ähnlich ticken. Damit haben wir uns allerdings ganz weit vom Mainstream und unserem alten Leben entfernt. Hier mal ein paar Beispiele, was wir nicht mehr machen.
Leben und Alltag
Wir duschen nicht mehr täglich und benutzen wenig bis keine Kosmetika. Und wenn, dann nur vegan-bio-nachhaltige. Unseren Kleinwagen haben wir vor drei Jahren verkauft und auch Fiete (VW T4 California) wird einen neuen Besitzer finden. Wir gehen zu Fuß einkaufen, sind in die Nähe der Arbeit gezogen und verbringen viel Zeit mit unseren Kindern auf dem Spielplatz oder zu Hause. Zeit ist eine knappe Ressource, die wir mit Qualität füllen wollen, anstatt mit Langeweile. Wir sprechen jeden Abend mindestens eine halbe Stunde über den Tag, über uns und die Zukunft. Filme schauen wir höchstens zwei Mal im Monat – auch, weil wir uns keine Zeit dafür nehmen (wollen). Kein Video-Streaming-Abo, kein Amazon Prime und nur Deezer. Wird hauptsächlich für Kinder-Musik und Hörspiele genutzt. Juhu!
Essen und Trinken
Als wir uns kennenlernten haben wir noch bedenkenlos Fleisch gegessen. Mit der Zeit verzichteten wir nicht nur darauf sondern auf alle Produkte mit tierischen Inhaltsstoffen. Im Januar 2020 habe ich am #veganuary teilgenommen und festgestellt, wie einfach und lecker vegane Ernährung ist. Zusammen mit Eva und ihrer Familie verbringen wir schon den dritten gemeinsamen Urlaub. Eva hat zusammen mit ihrem Partner zwei Kinder und die ganze Familie ernährt sich vegan. Für uns der perfekte Einstieg und ein Prozess, der vor drei Jahren begonnen hat und nun endlich umgesetzt ist! Seit dem Studium verzichte ich nahezu komplett auf Alkohol. Mir fehlt er nicht und ich brauche ihn auch nicht. Zucker vermeiden wir und Junk Food auch.
Urlaub und Reisen
Seit unserer großen Reise in die USA verzichten wir auf Flugreisen. Wir haben noch nie Kreuzfahrten gemacht und wollen auch keine unternehmen. Auch auf Städtetrips verzichten wir bewusst, weil wir wissen, dass unsere Kinder durchdrehen würden – ich übrigens auch! Wir haben eine Zeit lang Camping Urlaub mit Fiete gemacht und probieren ab 2020 Ferienwohnungen oder Ferienparks aus. Lieber machen wir viele kleine Urlaube als einen großen. Auch im Urlaub und auf Reisen versuchen wir den Alltag von zu Hause beizubehalten und schlafen zum Beispiel alle in einem Familienbett.
Kinder und Erziehung
Die Große haben wir bis zum Alter von drei Jahren mit Plastikwindeln gewickelt. In den ersten Wochen hatten wir noch Stoffwindeln probiert, sind daran aber gescheitert. Beim Kleinen hat sich Corinna richtig eingefuchst und ab dem 6. Monat wickeln wir nur noch mit Stoffwindeln. Wir sind Experten und fühlen uns wohl damit. Die Müllmenge ist stark reduziert und dafür waschen wir einmal pro Woche die Einlagen. Pflegeprodukte kaufen wir ausschließlich biologisch und ökologisch nachhaltig. Wir haben keinen Kinderwagen, sondern Tragehilfen und kaufen alle Klamotten Second Hand oder bekommen sie geschenkt. Nur die Puppen haben bei uns Schnuller und geschlafen wird im Familienbett. Außerdem impfen wir unsere Kinder nicht… war nur Spaß! Kommen wir zum nächsten Punkt, der in Gesprächen immer wieder für erstaunte Gesichter sorgt. Wir halten K2 seit er 5 Monate alt ist über der Toilette ab. „Ihr macht was?“ Wir halten ihn ab. Der Kleine sagt uns Bescheid und wir gehen mit ihm auf die Toilette, ziehen ihn unten herum aus und halten ihn ab. „Ne, is klar. Er sagt ,Papa, ich muss mal‘ und du weißt sofort, dass es Pipi oder Aa ist!“ Fast richtig. Der Kleine fängt an zu Knöttern und im Grunde rattert bei mir der Erfahrungsschatz los. Hat er Hunger? Nein, er war eben noch an der Brust. Ist er müde? Nein, er hat eben noch geschlafen. Will er Beschäftigung? Nein, ich beschäftige ihn die ganze Zeit. Will er Ruhe? Nein, siehe Schlaf. Dann muss er mal und will nicht in die Windel machen. „Ja ne, is klar.“ Dann nehme ich ihn mit zur Toilette und siehe da, er macht sein Geschäft. Das klappt in 8 von 10 Fällen. In den anderen zwei Fällen haben wir es nicht rechtzeitig geschafft und die Windeln sind voll. Naja, passiert. Weil uns eine stabile Eltern-Kinder-Bindung wichtig ist, gehen unsere Kinder erst mit 3 Jahren in den Kindergarten. Bei K1 haben Corinna und ich noch abwechselnd gearbeitet, um die Betreuung zu gewährleisten. Bei K2 habe ich lange Elternzeit genommen und gehe zurück in meinen Teilzeit Job, sobald K2 im Kindergarten ist.
Konsum und Luxus
Letztens meinte Corinna, sie könne Frugalistin sein. Also eine Person, die wenig Geld ausgibt und zufrieden ist mit dem, was sie hat. Dem stimme ich absolut zu, denn wir brauchen keine teuren Smartphones, keine smarten Gadgets, keine smarten Watches oder anderen smarten Kram. Das Geld, was wir haben, legen wir lieber in nachhaltige Projekte an oder geben es für Lebensmittel aus. Wenn dann doch mal etwas repariert werden muss, bezahlen wir lieber einen lokalen Handwerker und kaufen die Produkte regional und nachhaltig. Auch wenn es seinen Preis hat.
Unsere Klamotten und auch Dinge des Lebens kaufen wir gebraucht. Wenn uns etwas nicht mehr passt, verkaufen wir es wieder auf dem Gebrauchtmarkt. Autos sind für uns Gebrauchsgegenstände und den großen Luxus VW T4 California verkaufen wir nach 5 Jahren Nutzung wieder.
Und sonst
Ach, es gibt noch so viele Dinge, die wir nicht tun und die uns von Freunden und der Familie unterscheiden. Wir verzichten auf materielle Geschenke und verschenken lieber Qualitätszeit. Wir stellen unsere Kinder nicht mit Smartphone oder Fernseher ruhig und auch Computerspiele gibt es bei uns nicht. Wasser kommt aus der Leitung und Filterkaffee in die Tasse; der fair trade öko nachhaltige natürlich. Unseren Strom beziehen wir von einem Windanlagen-Bauern aus Niedersachsen.
Wir setzen die Familie in den Mittelpunkt und alles, ja A L L E S ordnet sich drum herum. Corinna arbeitet 30 Stunden und ich 20 Stunden. Wobei ich jetzt in Elternzeit bin und mich um den Haushalt und die Kinder kümmere. Wir gehen zu Fuß zur Arbeit und sind in 5 Minuten im Büro. Lieber wohnen wir zur Miete, als dass wir uns ein Eigenheim leisten. Wir wählen progressive Parteien, um eine starke Opposition zu haben. Mit der Kirche haben wir nichts am Hut und wir bezeichnen uns als Agnostiker. Entsprechend sind wir aus der Kirche ausgetreten und unsere Kinder auch nicht getauft. Ja, wir sind verheiratet, haben aber nur standesamtlich in ganz kleinem Rahmen gefeiert. Unsere Flitterwoche haben wir in Dänemark verbracht. Im November. Bei Sturm und Regen. Es war kalt. Wir haben es uns schön warm gemacht.
Wie du siehst, machen wir vieles anders. Wir sind auf unserem Pfad unterwegs und wollen noch mehr verändern und konsequenter werden. Viele können mit Veganismus nichts anfangen und verdrehen die Augen. Andere können es sich nicht vorstellen, mit Stoff zu wickeln oder als Hausmann zu arbeiten. Karriere und Geld verdienen ist in unserer Gesellschaft immer noch männlich geprägt. Leider. So oder so, wir fühlen uns auf diesem Weg richtig wohl und sind glücklich, in eine gemeinsame Richtung zu gehen.
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