Übers Vater sein: Up to Dad von Carsten Vonnoh
Bisher gibt es wenig Bücher übers Vater sein, die sich mit der subjektiven Empfindung von Vaterschaft und Vatersein auseinandersetzen. Damit meine ich nicht die sichtbare Veränderungen, die mit der Geburt oder Adoption von Kindern einhergeht. Bücher darüber, was sich alles verändert und wie „Mann damit umgeht“ gibt es reichlich – und jedes Jahr erscheinen weitere. Mir geht es um das subjektive Empfinden von Vaterschaft. Was verändert sich im Inneren eines Mannes, wenn er Vater wird. Mit welchen Ängsten, Sorgen und Herausforderungen wird er konfrontiert und wie bewältigt er sie. Welche Anteile hat die eigene Sozialisation an der Entwicklung der eigenen Kinder und wie kann ich ein guter Vater sein?
Wer ist eigentlich Carsten Vonnoh?
Carsten Vonnoh ist Väterberater mit eigener Praxis in Thüringen. Er ist Vater von zwei Kindern und möchte mit seinem Buch »Up to Dad«, das im BELTZ Verlag erschienen ist, Antworten auf die Frage nach dem Vatersein geben. Mit Carsten stehe ich in Austausch, weil wir beide mit Vätern arbeiten, die Begleitung in ihrer Vaterrolle und Beratung im Vatersein suchen. Erfahre mehr zu unseren »Online Väter Kreisen«.
„Es führt […] kein Weg an ernsthafter Reflexion vorbei, gerade und besonders für Väter.“
Carsten Vonnoh
Das Buch ist in acht Kapitel eingeteilt und schon beim Vorwort wird der persönliche Bezug sichtbar. Carsten schreibt offen und ehrlich über seine Krisen als Vater, das Scheitern der Beziehung und die Hilflosigkeit im Umgang mit seinen Kindern. Vielen Vätern fehlt der Bezug zu den eigenen Gefühlen, die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und die Achtsamkeit, sich mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, anstatt direkt Lösungen zu finden. Schon die ersten Seiten zeigen, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen klassischen Erziehungsratgeber handelt, sondern ein knallhartes Reflexionsangebot an die eigene Vaterrolle – ja, ans Vatersein ist.
Was bedeutet Vater sein?
Carsten beginnt das erste Kapitel mit der Frage, warum Väter eigentlich so bedeutsam sind. Das Vaterbild in unserer Gesellschaft ist geprägt vom trotteligen oder heroischen Vater, der besonders dann seine „mütterlichen“, also fürsorglichen, Kompetenzen zeigt, wenn die Mutter nicht da ist. Dabei haben Väter von Anfang an eine wichtige Aufgabe in der Bindung zum Kind. Das Zeigen Studien und einschlägige Literatur. So bezieht sich Carsten auch auf die Veröffentlichungen von Anna Machnin, die kulturübergreifend und in verschiedenen Regionen anthropologisch die Rolle des Vaters untersucht hat. Eltern wissen gar nicht, wie unverzichtbar Väter sind. Oder wusstet ihr, dass sich der Hormonhaushalt beim Mann nach der Geburt der eigenen Kinder verändert?
Bereits im zweiten Kapitel steigt Carsten in die Vollen und begibt sich mit uns auf die Reise in die eigene Vergangenheit. Die entscheidende Frage lautet: „Welcher Mann war in deiner Kindheit für dich da?“ Dabei klagt er unsere Vätergeneration nicht an, sondern versucht den Zeitgeist und die Gesellschaft zu verstehen. Das ganze Familiensystem wird beleuchtet und die Rollenerwartungen von Vater und Mutter beschrieben. Die eigenen Erinnerungen und Gefühle, die beim Lesen hochkommen, werden durch Reflexionsfragen aufgefangen und sortiert. Sie sind wie ein Handlauf in den Keller der eigenen Kindheitserinnerungen und unterstützen bei der Auseinandersetzung.
„Die meisten von uns sind vertraut mit dem Prozess von Drohung und Strafe. Schimpfen und Erniedrigung waren bei vielen Alltag.“
Carsten Vonnoh
Vater sein und Kinder
Dass es vor allem um Kinder geht, wird im dritten Kapitel deutlich. Was brauchen Kinder für einen Vater und warum lohnt es sich, mit Kindern in Beziehung zu gehen? Gleich zu Beginn spricht Carsten von einer Haltung zu sich selbst und zu den Kindern. Erst wenn es uns gelingt, die „eigenen emotionalen Verletzungen, unsere »Prägungen« und Überreaktionen zu verstehen“, können wir die Beziehung zu unserem Kind verändern. Dieses Kapitel behandelt Tipps aus typischen Eltern-Kind-Ratgebern, allerdings aus der Sicht eines Vaters mit besonderem Bezug zu seiner Vaterrolle. Carsten beschreibt viele Alltagssituationen, setzt den Fokus auf die Gefühle und versucht zu beschrieben, woher die Reaktion kommen.
Im vierten Kapitel befasst sich Carsten mit dem Herzstück seiner Arbeit: der Vater-Kind-Beziehung im Familienalltag. Dabei stellt er keine Anleitung oder ein Handbuch zur Verfügung, sondern bewegt sich mit uns auf der Suche nach einer guten Vater-Kind-Beziehung. Gleich zu Beginn nimmt er uns die Sorge, eine bessere Mutter sein zu müssen. Viel wichtiger sind die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln. Es braucht eine eigene Haltung sich selbst und den Kindern gegenüber. Gleichzeitig nimmt er den Druck, dass alles sofort gelingen muss. Wichtige Schlüsselfaktoren sind Empathie und die Erkenntnis, dass Kinder Begleitung benötigen und dass Väter wichtige Bildungsbegleiter sind. Gleichzeitig tragen wir einen Rucksack voller Lebenserfahrung mit uns herum, weshalb es auch in diesem Kapitel wieder einige Reflexions-Fragen gibt. Auch in Bezug zur Partnerschaft.
„Wir sollen in möglichst allen Bereichen souverän, kompetent und sexy sein, gleichzeitig sensibel, aufmerksam und engagiert im geteilten Mental Load.“
Carsten Vonnoh
Im fünften Kapitel beschreibt Carsten die Grenzen von Vereinbarkeit und dass Zeit die wichtigste Ressource im Leben ist. Viele Männer geraten mit der Geburt der eigenen Kinder in einen Loyalitätskonflikt und leben in einem Spannungsfeld zwischen Karriere machen und ein fürsorglicher Familienvater sein. Er schlägt vor, eigene Denkweisen zu überprüfen und den Fokus auf Eltern-Kind-Beziehung zu legen. Sein Ziel lautet, das Familienleben selbstbestimmt zu gestalten, Mental Load zu übernehmen und den Perfektionismus zu überwinden. Wie das gehen kann und welche 5 wichtige Erkenntnisse seinen Blick revolutioniert haben, beschreibt er in diesem Kapitel.
Männern fällt es schwerer als Frauen, für sich selbst zu sorgen. Damit ist vor allem die Fürsorge um die eigene Gesundheit gemeint. Im sechsten Kapitel beschreibt Carsten alltägliche Routinen, wie Schlafen, Essen und andere Rituale, die irgendwie gemacht werden, aber nicht zur Gesunderhaltung beitragen. Oft hindern toxische Glaubenssätze Väter daran, zu sich und anderen in Beziehung zu gehen. Auch Schuld und Scham, Sucht und Abhängigkeiten sind Themen von Vatersein. Reflexionsfragen regen zum Hinterfragen an und spannen den Bogen zur Vater-Kind-Beziehung, die durch eine bewusste Veränderung im »Selbstgefühl« neue Qualität gewinnen kann.
Im siebten Kapitel geht Carsten auf Trennungsväter ein. Er selbst ist Trennungs-Vater und beschreibt aus eigener Erfahrung. Wichtig ist hier die Erkenntnis, dass auch wenn die Beziehung gescheitert ist, Vater und Mutter trotzdem Eltern der gemeinsamen Kinder bleiben. Das ist nicht immer einfach, weiß auch Carsten zu berichten. Respekt und Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber sind wichtige Voraussetzungen einer gelungenen Bewältigung der Situation. Zum Ende dieses kurzen Kapitels gibt er ein paar Tipps, was die Vater-Kind-Beziehung stärkt und erhält.
Abgeschlossen wir das Buch im achten Kapitel mit 11 Visionen für das Vatersein im 21. Jahrhundert.
Fazit
Wow, was für ein Buch! Carsten ist es gelungen, die komplexe Lebenswelt von Vaterschaft und Vatersein mit seinen subjektiv erlebten Spannungsfeldern darzustellen und wertschätzend zu beschreiben. Der Aufbau und die Herangehensweise an das soziale Konstrukt Vaterschaft ist mehr als gelungen. Vaterschaft ist mehr als ein Selbstzweck, Kinder zu begleiten. Vatersein ist immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit, den Prägungen und Kindheitserlebnissen. Es geht um die Selbstwirksamkeit von Vaterschaft.
Gleichzeitig ist Vaterschaft auch ein Selbstgefühl. Carsten hat die schwierige und undifferenzierte Gefühlslage von Vätern sehr gut dargelegt und in allen Bereichen seines Buches eingebunden. Die Frage nach „Wie geht es dir“ hat er dabei in hundertfachen Ausführungen gestellt und gleichzeitig Angebote gemacht, was Väter fühlen könnten. Nicht nur das. Er begleitet Väter beim Lesen auf einem Weg zu den eigenen Gefühlen und bleibt bei Ihnen, wenn sie ihnen begegnen. Wie in einem systematischen Coaching ist er da, stellt Fragen und macht Angebote. Carsten versteht und ich fühle mich als Leser verstanden.
Das Buch legt die Grundlage, um weiterzumachen und an sich zu arbeiten. Ein tolles Buch zum Einstieg in das Thema Vatersein und Väterlichkeit. Wenn du ein Exemplar gewinnen möchtest, melde dich für den Newsletter an. Dort verlose ich unter allen neuen Abonnent*innen bis zum 22. August 2021 ein Exemplar des Buches. HINWEIS: Das Gewinnspiel ist beendet und die Gewinner*innen wurden informiert. Danke für’s Mitmachen!
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