Wer bin ich und wer möchte ich sein? Eine Überprüfung

Mittlerweile bin ich 33 Jahre alt, verheiratet und Vater einer 11 Monate jungen Tochter. Angetriggert duch einen Beitrag auf dem Blog von Leen und einem inspirierenden Interview mit dem bekannten Hirnforscher Gerald Hüther ist es an der Zeit, das bisherige (kinderlose) Leben einmal zu überprüfen. Immerhin sind nun gut 1/3 des Lebens verlebt. Will ich die nächsten Jahre so weiterleben, wie bisher?

Ein Blick zurück

Meine Kindheit und Jugend war vom klassischen Stil der 90er Jahre geprägt. Bloß nicht auffallen, schön mitlaufen, funktionieren und natürlich Karriere machen. Dann passiert dir schon nichts. Irgendwie durch die Schule kommen, Lehre machen, Haus, Frau, Kind, Hund und Auto. Aha. Anders sein war nicht erlaubt. Danke, dass ich auch gefragt werde. Wurde ich vielleicht auch, doch viele äußere Umstände und mein „nicht wissen, wer ich überhaupt bin“ standen mir im Weg. Dass ich hochsensibel bin, wusste ich schon, wollte es nur nicht akzeptieren. Dass ich eine Familie gründen wollte und Vater sein wollte, das wusste ich ebenfalls schon sehr früh.

Es hat lange gedauert, bis ich mich auf den langen Weg zu mir selbst gemacht habe. Selbstbestimmt durchs Leben gehen und den gesellschaftlichen Anreizen und Verlockungen widerstehen. Gleichzeitig mein Leben leben. Doch welche Ideale und welche Ziele, ja Visionen und Werte habe ich überhaupt? Und kann ich mich so akzeptieren, wie ich bin? Ohne anderen nachzulaufen oder selbst Trendsetter sein zu wollen?

Start in Südtirol

Gefangen im Hamsterrad, habe ich lange Zeit gedacht, dass ich eine Karriereleiter hinaufsteigen müsse. In einem mittelständischen Unternehmen habe ich eine Ausbildung begonnen und sollte anschließend im Vertrieb arbeiten. Wie sich an meinen damaligen Mitstreitern zeigt, stand mir eine steile Karriere bevor. Erst ein tragisches Ereignis in meiner Familie hat mich dazu bewogen, einmal aus dem Hamsterrad auszusteigen und eine Auszeit zu nehmen. Das war bis zu diesem Zeitpunkt die wohl beste Entscheidung in meinem Leben. Auf dem Bergbauernhof in Südtirol habe ich 3 Monate als Erntehelfer gearbeitet und mich auf den Weg zu mir selbst gemacht. Überschrift: „Auf der Suche nach dem unglaublichen Ich.“

Mein Leben war immer bestimmt durch andere. Schlechten Vorbildern und Leitfiguren bin ich meist unreflektiert gefolgt. „Die haben bestimmt das, was ich brauche: Liebe und Anerkennung.“ Leider nein, leider gar nicht! Erst im Studium habe ich allen Mut zusammen genommen und im Grunde meine Jugend nachgeholt. Neue Freunde, neue Erfahrungen, neue Ziele und Visionen. Hier kennt mich ja keiner, ich kann von vorne anfangen! Auf den Bachelor folgte der Master sowie ein Weiterbildungsstudium. Mir wurde nicht langweilig. Ich fühlte mich, wie Mitte 20, war allerdings schon Anfang 30. Es folgte ein verlockendes Angebot aus NRW, dem ich nicht widerstehen konnte. 

Zurück zu den Wurzeln, fast

Nach 7 Jahren im Norden, ganz weit weg von der Heimat, zog es mich also wieder dorthin zurück. Zwar ist das Ruhrgebiet und nun der Niederrhein nicht das heimatliche Münsterland, doch die Familie ist schnell zu erreichen. Aber irgendwie habe ich stark gezweifelt. Zurück ist doch immer ein Rückschritt, oder?

„Hej, sieh es doch als Chance. Du hast dich verändert, hast dich weiterentwickelt. Und vielleicht triffst du ja deine Traumfrau, bekommst Kinder, ihr heiratet, das wär doch was! Nur Mut!“

Danke, liebe Sandra, für deine tollen Worte, die mir so viel Energie und Zuversicht gegeben haben, das Richtige zu tun. Dafür bin ich dir unendlich dankbar!

Werte, die mir wichtig sind

Meine Schatzkiste an positiven Erfahrungen ist reich gefüllt. Liebe, Wertschätzung und Anerkennung sind auch dabei. Ständig überprüfe ich mein Tun und Handeln, frage mich, ob das jetzt der richtige Weg ist und was diese oder jene Entscheidung mit mir und meinem Leben macht. Ich bin ein Bauchmensch, ein Gefühlsmensch und ein Atmosphärentyp. Meine persönlichen Top 10 an Werten, die mir in meinem Leben zurzeit wichtig sind, lauten:

  • Familie
  • Selbstbestimmung
  • Entdecken
  • Ehrgeiz
  • Natur
  • Freiheit
  • Entwicklung
  • Kreativität
  • Rebellion
  • Ausgeglichenheit

Elternzeit als besondere Reflexionszeit

Werte, die mir wichtig sind, müssen verteidigt werden. Droht also Gefahr von außen oder innen, dann werde ich krank. Als hochsensibler Mensch ist meine Reizschwelle schnell erreicht, denn mein Wahrnehmungsfilter ist sehr sensibel. Und ja, was soll ich sagen. Mein Leben hat so rasant an Fahrt aufgenommen, dass ich wieder in diesen Strudel geraten wäre. Meine Werte waren bedroht, meine innere Mitte lag im Ungleichgewicht. Eine Entscheidung musste her! Eine Entscheidung für meine Werte, für mich, für meine Familie.

Als erstes habe ich also meinen Job gekündigt, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Und weil ich ein HSP bin, hat der Prozess über ein Jahr gedauert (warum das so ist, werde ich noch mal näher beschreiben). Aber diese Entscheidung, diese Erkenntnis hat mich wieder zu meiner Selbstbestimmung gebracht. Gleichzeitig entdecke ich jeden Tag etwas Neues und bin nach wie vor ehrgeizig auf dem Weg zu mir selbst. Dafür brauche ich Familie, Natur und Freiheit, die mir erst die Entwicklung ermöglichen. Kreativität kann ich erst durch Rebellion entwicklen. Das „Anders sein“ leben und immer mit einem kritischen Blick reflektieren. Das alles macht mich erst ausgeglichen. Angekommen bin ich noch nicht. Aber auf einem guten Weg.

Auf zu neuen Abenteuern

Die letzten Jahre haben mich geeicht. Meine Grenzen sind justiert, ich weiß, bis wohin ich gehen kann. Jetzt heißt es, neues Land zu entdecken und neue Abenteuer zu bestreiten. Die Elternzeit ist, denke ich, eine tolle Möglichkeit dazu. Unsere Kleine krabbelt und wird bald das Laufen lernen. Der Frühling steht vor der Tür und die nächsten Urlaube sind in Aussicht. Jetzt bin ich Papa und genieße die Zeit mit meiner Tochter, mit meiner Frau und mit mir.

Was ist mit dir? In Anlehnung an Richard David Precht: Wer bist du und wenn ja, wie viele?

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Sobald du Vater wirst, setzt du dich zwangsläufig mit deiner neuen Rolle auseinander. Das passiert bewusst oder unbewusst. Fest steht jedenfalls, dass äußere Faktoren auf dich einwirken und dich beeinflussen. Vaterschaft wird dann oft auf seine Vorbildfunktion reduziert. Sei ein guter Vater für deine Kinder, heißt es dann schnell. Dabei ist Vaterschaft und Vater Sein mehr als ein ‚gutes Vorbild‘ sein. Aktive Vaterschaft ist auch immer eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Vaterbild und dem Vater, der uns geprägt hat.

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